Fritz Vahrenholt, Sebastian Lüning

Die kalte Sonne

warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet

Am Problem vorbei

Es scheint Mode geworden zu sein, prominenten, aber nicht mehr sonderlich angesagten Sozialdemokraten in Buchform eine Plattform zu geben, auf der sie gegen den (Partei-)Stachel löcken und zugleich viel Geld verdienen können. So wie Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ hat auch Fritz Vahrenholts zusammen mit dem RWE-Manager Sebastian Lüning verfasstes „Die kalte Sonne“ auf einen kurzfristigen Bestsellererfolg gezielt. Den erreicht man bei politisch brisanten Themen vor allem durch scheinbar politische Unkorrektheit, angefeuert durch empörte Verrisse in den Medien. Für den Verlag, Hoffmann und Campe, dürfte das kommerzielle Kalkül aufgegangen sein. Das Buch verkauft sich gut. Dabei verdient es, genauso wenig ernstgenommen zu werden die Herrn Sarrazins erbbiologische Rassismen.

Mag dieses Urteil auch hart sein, immerhin muss man Vahrenholt und Lüning durchaus einen gewissen Ernst im Umgang mit der Materie und auch die Einhaltung wissenschaftlicher Minimalstandards bei der Recherche attestieren, so ist es angemessen. Denn Vahrenholt und Lünig scheitern mit ihrem Versuch, den IPCC (International Panel on Climate Change) zu diskreditieren auf ganzer Linie.

Zuallererst: Die Autoren als „Klimaskeptiker“ zu bezeichnen, verfehlt das Ziel ebenso wie ihnen platte Faktenfälschung zu unterstellen. Vahrenholt und Lüning bestreiten keineswegs, dass die anthropogenen Emissionen klimaaktiver Spurengase zu einer globalen Erwärmung führen. Sie behaupten lediglich, dass die etablierte Klimaforschung den Einfluss der Sonne, also Schwankungen in der Energieabstrahlung unseres Muttergestirns, nicht genug berücksichtigt. Das ist allerdings nicht korrekt, und ihre Versuche, anhand vieler interessanter Quellen und Graphiken ihre These vom vorherrschenden Einfluss der diversen Sonnenzyklen zu belegen, widerlegen sie selbst in zahlreichen Graphiken, die vieles erklären, aber nicht, warum der Temperaturanstieg der letzten 40 Jahre vor allem auf eine vorübergehend erhitzte Sonne zurückgeführt werden kann. Dies ist auch nicht der Fall.

Man mag den Autoren zu Gute halten, sich mit der anspruchsvollen und selbst für Experten nur schwer beherrschbaren Materie der Klimamodelle übernommen zu haben. Ärgerlich wird es – und das zieht sich wie ein roter Faden durchs Buch – wenn Vahrenholt und Lüning dem IPCC „Alarmismus“ vorwerfen, den Klimaforschern unterstellen, sie würden abweichende Erkenntnisse – die etwa den Einfluss der Klimagase relativieren könnten – nicht berücksichtigen oder sogar bewusst unterschlagen. Hier überschreiten die  Autoren die Schwelle zum Unseriösen. Fritz Vahrenholt, der aus seiner früheren Zeit als Umweltaktivist durchaus weiß, dass Politiker erst dann handeln, wenn die Katastrophe da ist, es sei denn, man kann sie von der unmittelbar bevorstehenden Katastrophe überzeugen, und oft dementsprechend alarmistisch aufbauschte, wirft nun dem IPCC genau diesen Alarmismus vor. Dabei wirkt er ein wenig wie ein Lehrer, der verzweifelt feststellen muss, dass seine Schüler seine Lektionen nicht nur verinnerlicht haben, sondern nun auch gegen ihn anzuwenden verstehen.

Aber noch wesentlicher ist, dass Vahrenholt und Lüning die entscheidenden Fragen ignorieren: Unabhängig, ob und wie stark die Erderwärmung bis zum Ende dieses Jahrhundert ausfallen mag: Das Ölzeitalter steht vor dem Ende und je länger man den Menschen noch Sand in die Augen streut und ihnen von Tiefseeöl und Schiefergas vorschwärmt – die Zeit, sich aus dem Ölsumpf empor zu heben wird immer knapper und die Folgen hier unterlassenen Handelns – und dazu fordern Vahrenholt und Lüning auf – werden immer härter. Deshalb verdient dieses Buch, möglichst wenig gelesen und möglichst rasch vergessen zu werden.

Stefan Vockrodt

Überblick

Fritz Vahrenholt, Sebastian Lüning:

Die kalte Sonne

448 Seiten, gebunden

Hoffmann und Campe: Hamburg 2012

978-3-455-50250-3, 24,99 €