Gorleben Archiv e.V.

„Mein lieber Herr Albrecht...!“

Wie der Gorleben-Konflikt eine Region veränderte

Das Wendland im Wandel

Es war einmal im Jahre 1976. Nicht mehr ganz Deutschland war begeistert von der Atomenergie und machte mit Fragen und Protesten auf die Risiken und Nebenwirkungen der Atomkraft aufmerksam. Damals wollten die Bundesregierung und Kanzler Helmut Schmidt (SPD) dennoch oder vielleicht auch gerade wegen des wachsenden Widerstands ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ errichten lassen. Als Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) mit dem Mittelfinger auf der Landkarte das Dörfchen Gorleben im äußersten nord-östlichen Winkel des Landes markierte, war das Schicksal der bundesdeutschen Atomenergienutzung wohl besiegelt. Nur, das wusste damals noch keiner. Und wer – wie die Herren Schmidt und Albrecht – glaubte, dass dieser notorisch CDU-wählende Landkreis diese Segnung freudig hinnähme, der irrte gewaltig.

Nur wenig mehr als zwei Jahre darauf, im März 1979 machten sich Hunderte Bauern aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg auf, in Hannover dem „lieben Herrn Albrecht“ mal so richtig laut zu sagen, was sie von dieser Idee hielten: nämlich gar nichts. Am Ende waren es rund 100.000 Menschen, die damals auf dem Klagesmarkt lautstark den Ausstieg aus der Atomkraft forderten. „Gorleben soll leben“ ist seither eine der prägendsten Parolen des Landes.

Der großformatige Band „Mein lieber Herr Albrecht ...“ wirft nun mit dem Abstand von über 40 Jahren einen Blick zurück auf diese Jahre, die einen Landkreis und die ganze Republik veränderten. Und da manche von denen, die damals die Bürgerinitiative ins Leben riefen und die ersten Proteste einschließlich des Trecks organisierten, schon verstorben sind, ist es höchste Zeit, dieses wichtige Kapitel bundesdeutscher Geschichte in Zeitzeugenberichten aufzubereiten. Das unternimmt der außergewöhnlich anregende Band in Form von 34 Gesprächen und einigen ergänzenden Beiträgen zu „Protestbewegung und Demokratieentwicklung“.

Wer sich die durchweg spannenden, mitunter sehr subjektiven Beiträge durchliest, insbesondere jüngere Lesende, begreift, wie wenig selbstverständlich unsere heutige hoch entwickelte Zivilgesellschaft ist und wie fragil – denn der Widerstand in Gorleben zeigt über die Jahrzehnte auch, wie viel Mühe und harte Arbeit es kostet, ein solches Mammut- und Prestigeprojekt zu bekämpfen.

Denn mag auch die Wiederaufarbeitungsanlage 1979 von Herrn Albrecht für „politisch nicht durchsetzbar“ erklärt worden sein, als Standort für ein Endlager für hoch aktiven Atommüll kann Gorleben immer noch wieder auf den Tisch kommen. Der Kampf geht weiter, in die nächste Generation. Und die Berichte in diesem Buch geben nicht nur Geschichte wieder, sondern regen auch an, wieder einmal über fantasievolle Formen bürgerlichen Ungehorsams nachzudenken.

Stefan Vockrodt

Überblick

Gorleben Archiv e.V.:

„Mein lieber Herr Albrecht...!“

192 Seiten, Hardcover, Großformat, viele Bilder

Lüchow, 2019

ISBN 978-3-928117-90-6, 20,00 €